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Von: Peter Rutkowski
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Eine Chronik der Ereignisse vor und nach dem russischen Überfall auf die Ukraine.
2000: Mehrere russische Gelehrte weisen den Westen darauf hin, dass die neue Regierung Putin sich systematisch am Stalinismus orientiert. Niemand im Westen will das hören. Denn das Interesse an Geschäften mit Russland ist riesig, auch wünschen sich viele ein Ende des Staatsmafia-Unwesens der „demokratischen“ Jahre der Ex-Sowjetunion.
Seit 2001: Die Ukraine gilt als Hort der Korruption; in Russland macht Putin Korruption zu Gunsten seiner Clique zum Staatssystem.
2004: Die „Orangene Revolution“ in der Ukraine lässt die Bevölkerung auf die Wende zum westlichen Rechtsstaat hoffen, die politische Nomenklatura verzettelt sich aber in Flügelkämpfen. 2010 wird der russland-freundliche Wiktor Janukowytsch Präsident.
2010 bis 2013: Janukowytsch erkennt die Zeichen der Zeit und will die Ukraine mit der EU assoziieren, im letzten Moment aber wird er von Putin zurückgepfiffen. Tausende protestieren spontan auf einem zentralen Platz Kiews. Daraus entsteht 2014 die „Euromaidan“-Revolution, durch die die Ukraine Kurs gen Europa nimmt.
Frühjahr 2014: Putin glaubt, durch die Revolution sei die Ukraine fatal geschwächt. Im Handstreich besetzen russische Truppen die Krim. In den ukrainischen Städten aber versagen inszenierte „Volkserhebungen“ zugunsten Moskaus. Nur im Donbass gelingt die Installation einer „Volksrepublik Donezk“ und einer „Volksrepublik Luhansk“. Putin redet von „Neurussland“, das nur fälschlicherweise dem sowjetischen Vorgänger der Ukraine zugeschlagen worden sei.
2014 bis 2015: Im Donbass kämpfen sich improvisierte Streitkräfte in einen jahrelangen Stellungskrieg hinein.
12. Februar 2015: Das „Minsk II“-Abkommens wird geschlossen, um den Konflikt beizulegen. Russland hat aber kein Interesse an Frieden.
2020: Der 22. Waffenstillstand wird vereinbart – er scheint der erste, der eingehalten wird.
Mitte Februar 2021: Nachdem das Kiewer Parlament Manöver mit Nato-Truppen auf seinem Territorium gestattet, nehmen die Verletzungen des Waffenstillstands wieder rapide zu. Dutzende ukrainische Soldat:innen werden getötet,
Januar bis Februar 2022: Im Donbass bleibt es eigentümlich ruhig.
21. Februar 2022: Putin dekretiert die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk als unabhängig.
23. Februar 2022: Das ukrainische Parlament beschließt für 30 Tage den Ausnahmezustand im gesamten Land, der am nächsten Tag, einem Donnerstag, in Kraft treten soll. Präsident Wolodymyr Selenskyj versucht vergebens, mit Putin Kontakt aufzunehmen.
24. Februar 2022: Die russischen Offiziere erhalten den Befehl, ihre Paradeuniformen für Siegesfeiern in der Ukraine nach dem Einmarsch mitzuführen. Putin erwartet, dass die „Befreiung“ der angeblich russischen Provinz Ukraine vom Joch „homosexueller jüdischer Nazis“ Formsache ist. Die Invasoren tragen Namenslisten mit sich - eine für Kollaborateur:innen und eine für zu liquidierende Personen.
24. Februar 2022: Alle Vorstöße der russischen Truppen auf ukrainisches Territorium verfehlen ihre Tagesziele.
Ende Februar 2022: Entlang der Schwarzmeerküste läuft es für die Invasoren besser; dort können sie von der Krim und aus der Oblast Rostow am Don vorrücken. Eine Landverbindung zwischen russischem Gebiet und der Krim ist schnell gesichert. Nur Mariupol hält sich noch.
März 2022: Mit einer zahlenmäßigen Überlegenheit von 12:1 rücken russische Verbände von Norden her nach Kiew vor. Aber 30 Kilometer vor der Stadt werden sie gestoppt. Die Eroberung von Charkiw, zweitgrößte Stadt der Ukraine und ihre Waffenschmiede, scheitert auch, weil sich die ukrainischen Streitkräfte seit ihrer Reformierung 2015 an den überlegenen westlichen Standards orientiert haben.
4. März 2022: Erstmals beschießt russische Artillerie das AKW Saporischschja.
7. März 2022: In einem internen Papier des russischen Geheimdienstes FSB wird die Invasion als „Totalversagen“ gewertet.
Frühjahr 2022: Die russische Seite beginnt in den besetzten Gebieten ein chaotisches Terrorregime. Butscha bei Kiew wird zum Sinnbild für Putins „Entnazifizierung“: Ukrainische Ermittlungsbehörden finden mehr als 400 massakrierte Zivilpersonen. Seitdem werden regelmäßig Kriegsverbrechen durch russische Truppen publik.
14. März 2022: London meldet, dass die russische Marine alle Seewege von der Ukraine blockiert. Die UN schlagen Alarm, weil ohne ukrainisches Getreide eine weltweite Hungersnot droht.
3. April 2022: Einer der zahllosen Propagandisten des Kreml erklärt bei „RIA Novosti“, das Ziel Russlands sei „die Vernichtung der Ukraine als Staat“. Danach werde man das dortige Volk prüfen, ob es zu sehr „nazifiziert“ sei, um noch eine Zukunft in der „neuen Welt“ zu haben.
April 2022: Die Offensivkraft der Invasoren ist verpufft. Westliche Fachleute schätzen, dass Russlands beste Einheiten weitgehend kampfunfähig sind. Wie als Beleg dafür greifen russische Artillerie und Luftwaffe immer öfter mit ungelenkten Geschossen wahllos zivile Objekte an.
20. Mai 2022: Die letzten Verteidiger:innen von Mariupol geben auf. Von der Stadt ist fast nichts übrig. Die Russen beginnen, die Trümmer einzureißen. Darunter liegende Leichen werden mitplaniert.
Frühsommer 2022: In Russland wird erstmals Kritik laut. Es gibt Attacken auf Rekrutierungsbüros, Soldaten verweigern Marschbefehle, greifen Vorgesetzte an und prangern über die sozialen Medien die Korruption der oberen Ränge an. Selbsternannte Kriegskorrespondenten („Milblogger“) und extremistische Offizierskreise fordern die komplette Militarisierung Russlands und einen offenen Vernichtungskrieg gegen den Westen.
Juni 2022: Die ersten lokalen Gegenstöße ukrainischer Kräfte zeigen Erfolg. Partisanen fallen den Russen in den Rücken.
10. Juli 2022: Im Donbass wird wieder gekämpft. Das AKW Saporischschja wird nun fast täglich beschossen.
1. August 2022: Dank türkischer und UN-Vermittlung kann ein erster ukrainischer Getreidefrachter durchs Schwarze Meer fahren. Währenddessen stehlen Russen Teile der ukrainischen Ernte und verschiffen sie von der Krim aus.
August bis September 2022: Die ukrainische Gegenoffensive entwickelt sich bis in den Oktober hinein im Norden bei Charkiw. Die Russen sind überfordert.
September 2022: Der Kreml ordnet den Einzug von 300 000 Reservisten an. Russen flüchten in Konvois aus dem Land.
Oktober bis Mitte November 2022: Die ukrainischen Kräfte stoßen im Süden bis an den Dnipro vor und befreien Cherson.
Von November 2022 an: Nachdem sich die Fronten im Süden und Norden wieder stabilisieren, intensivieren die Russen ihre Terrorangriffe mit Artillerie, Raketen und Drohnen. Kiew befürchtet durch das Ausschalten kritischer Infrastruktur einen gefährlichen Kältewinter. Das kann gerade so verhindert werden.
23. November 2022: Das EU-Parlament verurteilt Russland als staatlichen Unterstützer von Terrorismus.
24. Februar 2023: Der Kampf um das strategisch wertlose Bachmut entwickelt sich zum Massaker. Die Söldnerfirma „Wagner“ übernimmt auf russischer Seite die Hauptlast.
8. März 2023: Die Verteidigungsministerien der EU kommen überein, der Ukraine so schnell wie möglich eine Million Artilleriegranaten zu besorgen. Sie formulieren es am 20. März als Versprechen. Sie werden ihr Versprechen nicht halten.
April 2023: In Polen, der Slowakei und Ungarn werden ukrainische Getreideimporte verboten.
21. April 2023: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg meldet, die Ukraine werde nach Kriegsende aufgenommen.
Ende April 2023: Die Gerüchte über eine ukrainische „Frühjahrs-“ oder „Sommeroffensive“ häufen sich. Die Medien befördern das ohne jeden Vorbehalt.
Mai 2023: Russland verstärkt seine Terrorangriffe auf zivile Ziele in der Ukraine und inszeniert „ukrainische Drohnenattacken“ auf Moskau.
5. Mai 2023: „Wagner“-Söldnerunternehmer Jewgenij Prigoschin kündigt an, seine Truppen aus Bachmut abzuziehen, weil man ihm keine Munition gibt. Der Kampf um Bachmut geht seinem Ende entgegen; was aus der ukrainischen Offensive wird, vermag niemand zu sagen.
27. Mai 2023: Das deutsche Verteidigungsministerium bestätigt die offizielle Anfrage Kiews um „Taurus“-Lenkflugkörper. Um die 600 davon lagern seit Jahren nutzlos in deutschen Arsenalen.
29. Mai 2023: Angeblich soll alles bereit sein für eine ukrainische Offensive.
6. Juni 2023: Die Russen jagen den Kachowka-Staudamm am Dnipro in die Luft. Durch die folgende Flut wird der ukrainische Vormarsch dort gestoppt.
13. Juni 2023: In Belarus werden die ersten russischen Atomraketen stationiert.
23. Juni 2023: Die „Wagner“-Truppe beginnt ihre Meuterei. Es soll auf Moskau marschiert werden, um „Gerechtigkeit zu fordern“. Belarus-Diktator Lukaschenko kann Prigoschin davon abbringen und bietet ihm Exil an. Die „Wagner“-Truppe wird nach und nach in die Armee übernommen. Prigoschin und Vertraute werden am 23. August getötet.
Sommer 2023: Die Deutschen verweigern die Lieferung von „Taurus“, Paris und London schicken dafür „Scalp“ und „Stormshadow“, die fast baugleich sind. Die Ukrainer intensivieren ihre Schläge gegen frontnahe russische Infrastruktur, die russische Marine und die Krim.
19. August 2023: Ukrainische Piloten beginnen das Training auf F-16-Kampfjets, die Kiew später geliefert werden sollen.
Herbst 2023: Kiews Sommeroffensive wird zumindest medial als gescheitert angesehen. Die russische Marine muss sich aber nach Osten zurückziehen, die Handelsrouten sind nun weitgehend frei.
Winter 2023: Die Trump-Republikaner blockieren alle Hilfe für die Ukraine, der nun die Munition ausgeht.
14. Dezember 2023: Der EU-Rat beschließt Aufnahmeverhandlungen mit der Ukraine zu beginnen.
Februar 2024: Selenskyj wechselt nach einigem Hin und Her den Oberkommandierenden der Streitkräfte aus. Walerij Saluschnyj muss gehen, Oleksandr Syrskyj rückt auf. Politisch wird das als Desaster angesehen, militärisch ist das Alltag, Syrskyj gilt als Verteidigungsspezialist.
Februar 2024: Die Ukrainer geben nach zehn Jahren das Ruinenfeld Awdijiwka im Donbass auf. Die Frontbegradigung setzt Truppen frei und vereinfacht auch logistisch die Verteidigung. In Awdijiwka zeigt sich, was das Zögern des Westens bewirkt: den Sieg Putins.
Krieg in der Ukraine
Am 24. Februar 2022 begann der russische Überfall auf die gesamte Ukraine. Ein Ende des Kriegs ist nicht abzusehen. Die Frankfurter Rundschau zieht eine Bilanz des Schreckens.
Jeder Tag Krieg ist einer zu viel: Mit jedem Menschen, der sein Leben verliert, stirbt die Menschlichkeit. Ein Leitartikel von Karin Dalka.
Der Krieg gegen die Ukraine fordert Europa – nicht nur verteidigungspolitisch. Eine Analyse von Andreas Schwarzkopf.
Wie weit ist der Weg zum Frieden? In der FR-Serie #Friedensfragen suchen Expertinnen und Experten seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine nach Antworten auf viele drängende Fragen. Ein Überblick von Pitt von Bebenburg.
Tun, als gäbe es keine Ukraine: Moskau redet nicht über tote Bekannte, über Wladimir Putin oder Raketenangriffe. Zwei Jahre nach Beginn der „Kriegsspezialoperation“ tun die meisten in Russland so, als gäbe es keine Ukraine. Eine persönliche Betrachtung von Korrespondent Stefan Scholl.
Die Russen stehen vor New York: Ein ukrainisches Städtchen mit einem merkwürdigen Namen sehr nahe der Front. Dort paart sich das Elend der Sowjetzeit mit dem des Krieges. Von Till Mayer.
In Deutschland statt an der Front: Zehntausende Männer aus Russland und der Ukraine verweigern den Kriegsdienst – aber nicht viele bekommen hier Schutz. Von Pitt von Bebenburg.
„Die Nachrichten holen uns immer wieder ein“: Alina Khimich ist mit Familie aus Kiew nach Frankfurt geflüchtet. Sie und ihre Tochter vermissen ihr Heimatland nicht mehr und planen ihr Leben in Deutschland. Aber sie ist verzweifelt, weil ihr Freund jetzt in den Krieg ziehen soll. Von Kathrin Rosendorff.
„Putin ist ein Gefangener seiner Ideologie“: Der Osteuropa-Historiker Martin Schulze Wessel über den Fluch Russlands, die mangelnde Einsicht im Westen und die weitere Bedrohung durch Putin im Falle einer ukrainischen Niederlage. Ein Interview von Michael Hesse.
Das „elegante“ Recht auf Enteignung: Im Westen wird nach juristischen Wegen gesucht, Russlands Staatsschatz an die Ukraine zu geben. Die USA zeigen sich darin besonders innovativ – und forsch. Von Stephan Kaufmann.
Garantiert sicher – wie in der Sowjetunion: Russlands kriegstüchtige Wirtschaft bröckelt an allen anderen zivilen Ecken und Enden. Von Stefan Scholl.
„Am Ende bleibt uns nichts als durchzuhalten“: Leben mit dem Krieg bedeutet gegen alle Evidenz hoffen auf den Frieden. Der Alltag von Menschen ohne Alternativen. Von Denis Trubetskoy.